27. Spieltag: 1.FC Union Berlin - Hertha BSC

1.FC Union Berlin - Hertha BSC
Sonntag, 04. April
18:00 Uhr


Mehr als nur ein Derby?

Der 27. Spieltag wirft seinen langen Schatten voraus und damit steht auch das vierte Berliner Hauptstadt-Derby zwischen dem 1. FC Union Berlin und Hertha BSC am Sonntagabend im Fokus. Viele verschiedene Geschichten umgarnen dieses Spiel: zwei Teams mit unterschiedlichen Ansprüchen und unterschiedlichen Realitäten, zwei Teams mit unterschiedlicher Wahrnehmung und Präsenz, zwei Teams mit einer mannigfaltigen Historie im Weltfußball. Die eine Wahrheit ist, dass dieses Spiel wie immer ein emotionaler Höhepunkt für einige Fankulturen und noch mehr Medienvertreter sein wird - die andere Wahrheit ist, dass zwei Berliner Vereine um Punkte gegen den Abstieg kämpfen, um auch im nächsten Jahr ein Hauptstadt-Derby in der Bundesliga zu haben. Der “Klassenkampf”, wie er von Ultra-Szenen und auch sehr gern von einschlägigen Headlines genutzt wird, ist eigentlich gar keiner: in einer Stadt, in der es 381 Fußballvereine und über 150.000 Fußball-Mitglieder gibt, sollte es auch genügend Platz für zwei Profi-Vereine in der höchsten deutschen Spielklasse geben. In Mailand ist dem so, in Madrid und Barcelona ist dem so und in London könnte man eine ganze Spielklasse nur mit Profi-Vereinen gründen - warum also nicht auch Berlin? Dass sich Hertha und Union in ihrer Markenführung so eindeutig abgrenzen, hat doch auch großartige Vorteile, bei denen man eben nicht in einer direkten Konkurrenzsituation um Fans oder Sponsoren steht: wer die international geführte Fußballmarke mit Event-Feeling und Entertainment-Faktor genießt, der wird bei Hertha eher zuhause sein, als bei Union - im Gegenzug wird Union besonders für sein Kult-Image, sein Nischen-Dasein und seine (noch) anti-kommerziellen Ansichten verehrt. Beide Wahrnehmungen sind absolut in Ordnung und können dabei auch sehr gut in koexistenz leben. Der sportliche Aspekt ist sicherlich ein ganz anderer:

Hertha BSC auf der Suche nach Stabilität

Es ist der Traum eines jeden Fußball-Manager-Spielers: du bekommst sehr große finanzielle Unterstützung eines angesehenen Investors und darfst dir in der Hauptstadt Deutschlands deinen Traumkader basteln, der nach internationalen Plätzen greifen soll. Dass diese Vision nicht sofort ideal umgesetzt werden kann, beweisen auch Beispiele aus Manchester und Paris, die ebenfalls anfangs Startprobleme hatten. Bei Hertha scheint man allerdings verschiedene Ansichten im Management gehabt zu haben, wie solch ein Ziel definiert sein kann und wie man wann dorthin kommt. Wenn du über 100 Millionen € auf dem Transfermarkt in einer Saison ausgeben kannst und willst, dann solltest du dort auch Spieler verpflichten, die unter verschiedenen Gesichtspunkten der strategischen Vision passen. Das wären Spieler, die
a) eine sofortige Verstärkung für jedes Mannschaftsteil darstellen
b) die dem Mannschaftsgefüge positive Impulse wie Führungskraft, Harmonie und mentalen Support geben können
c) Talente, die einen langfristigen sportlichen und wirtschaftlichen Mehrwert darstellen.

All diese Filter sind absolut legitim und wohl für jedes Bundesliga-Team notwendig, nur eben mit dem Unterschied, dass Hertha hierfür etwas mehr Geld investieren könnte. Für jenes Geld wurden in der ersten Saison 10 Spieler geholt, die alle unterschiedlich in die drei Kategorien reinfallen und auch unterschiedlich performed haben. Mit Ausnahme von Matheus Cunha (18 Millionen) und eventuell noch die verlängerte Leihe von Marko Grujic (2 Millionen Leihgebühr) konnten viele der Spieler, die für sehr viel Geld gekauft worden sind, nicht die Erwartungen erfüllen und sind teilweise auch wieder Kandidaten für einen Abgang. Dabei war Hertha bereits auf einem sehr stabilen Weg mit ihrer Transferpolitik, als der ablösefreie Boyata sich als Glücksgriff entpuppt hat und auch ein Daishawn Redan durchaus ein Kandidat für eine langfristige Entwicklung sein kann - jedoch wirkten Transfers wie die 20 Millionen für Lukebakio, die 25 Millionen für Tousart oder die 24 Millionen für Piatek eher wie Aktionismus, als für nachhaltige Transferstategie. Ich will mir gar nicht aneignen, eine Meinung über die Leistung und den Wert jener Spieler zu haben - aber es darf durchaus im Rahmen der Überlegungen sein, ob ein Paket aus 69 Millionen € für diese drei Spieler womöglich bei anderen Spielern besser investiert wäre?

Die sportliche Entwicklung hat sich trotz der Investitionen bislang noch nicht rentiert. In der Saison 19/20 landete man auf einem Mittelfeld-Platz 10, der durchaus Mut und Hoffnung nach weiterer positiver Entwicklung machte - jedoch geht es in der aktuellen Saison bislang nur um den Klassenerhalt. Mit gegenwärtig 24 Punkten liegt man sogar 7 Punkte hinter der letztjährigen Platzierung am 26. Spieltag - dies ist eindeutig zu wenig für einen Verein, der über einzigartige Voraussetzungen in der Bundesliga verfügt und der mit all den Investitionen innerhalb von anderthalb Jahren auch Berechtigung besitzt, eine positive Entwicklung zu erwarten. Was es für alle Beteiligten sicherlich noch unangenehmer macht, wenn Vereine mit deutlich weniger Strahlkraft und Marktstärke einige Plätze vor Hertha stehen und sogar in Tuchfühlung mit den internationalen Plätzen sind. Um dieser Entwicklung entgegen zu treten, wurden Bruno Labbadia und Michael Preetz von ihren Aufgaben entbunden, da sie sich dem internen und vor allem den externen Druck der Fans ergeben mussten. Mit Pal Dardai wurde wieder ein Mann aus dem eigenen Inventar installiert, der diesen Verein so sehr kennt wie kaum ein zweiter Herthaner. Das undankbare Programm mit Duellen gegen Eintracht Frankfurt, Bayern München, RB Leipzig, VfL Wolfsburg oder den BVB konnte man in der kurzen Zeit gar nicht richtig als Aufwärmphase mit Punktebeute betrachten - immerhin ist aber ein Aufwärtstrend zu erkennen: gegen den FC Augsburg kam man zu einem 2:1-Sieg, eher man Bayer Leverkusen und Peter Bosz am letzten Spieltag mit 3:0 stürzte. Mit der Länderspielpause gab dies auch noch einmal die Möglichkeit, die positive Form und Atmosphäre weiteren Auftrieb zu geben um beim Derby gegen Union nicht nur Punkte mitzunehmen, sondern vor allem auch die langfristige Entwicklung des Teams, der Mannschaftsteile und jedes Spielers voranzutreiben, um dann diese Saison noch mit einer positiven Endphase zu beenden und die kommende Saison als Maßstab zu betrachten.


Und bei Union?

Noch nie sah eine 2:5-Niederlage schöner aus, als das Spiel von Union gegen Eintracht Frankfurt. 25:9 Torschüsse, fast 2 ½ mehr gelaufene Kilometer - und dennoch hieß es am Ende 2:5. Ein unglücklicher Spielverlauf mit einigen individuellen Fehlern und Unachtsamkeiten beim Umschaltspiel sorgten für eine Niederlage, die in der Höhe nicht verdient war. Mit 38 Punkten ist man natürlich dennoch absolut im Soll und tatsächlich noch immer in greifbarer Nähe zur Europa League (2 Punkte Distanz auf Leverkusen), als auch in theoretischer Nähe zur European Conference League (Platz 7, wenn der Gewinner des DFB-Pokals bereits international qualifiziert ist). Ob diese Platzierungen am Ende überhaupt nötig sind, um dem Verein eine herausragende Saison zu bescheinigen, wage ich zu bezweifeln - ein Nichtabstieg hat noch immer höchste Priorität und wird auch auf einem Platz 8 oder Platz 14 genauso umjubelt und akzeptiert. Das wichtigste sportliche Saisonziel war neben dem Klassenerhalt eh die sportliche Weiterentwicklung des Teams und der Spieler - jenes Ziel scheint man bereits jetzt erreicht zu haben, wenn man bedenkt, welche Spieler bei welchen Vereinen schon für Interesse gesorgt haben und welche Spieler jüngst in der Länderspielpause noch arbeiten mussten.


Länderspiele

Die sechs Spieler, die sich in den zwei Wochen bei ihren A- beziehungsweise U21-Nationalmannschaften beweisen durften, kamen mit unterschiedlichen Ergebnissen zurück:
Nico Schlotterbeck durfte drei Spiele der deutschen U21 mitmachen und dabei durchaus Leader-Qualitäten in der Innenverteidigung zeigen, über die sich auch der SC Freiburg sehr freuen wird. Peter Musa schaffte es mit der U21 Kroatiens bislang nur zu einem Kurzeinsatz gegen Italien, kann aber am heutigen Tag eventuell noch Spielpraxis gegen die hoch favorisierten Engländer sammeln.
Bei der A-Nationalmannschaft gab es die doppelte Premiere für Marcus Ingvartsen, der beim Sieg gegen Israel noch auf der Bank bleiben musste - aber dann endlich gegen die Republik Moldau eingewechselt wurde und dann sogar noch traf. Am heutigen Mittwoch kommt es dann auch zu einem sehr seltenen Union-Aufeinandertreffen von Dänemark und Österreich, wenn beide Spieler ihre Minuten erhalten sollten. Trimmel konnte nämlich bislang nur beim 3:1-Sieg gegen die Färöer einige Minuten sammeln, während er beim Spiel gegen Schottland ebenfalls nur auf der Bank saß. Anders verlief es beim aktuellen Shootingstar der Unioner Julian Ryerson, der für Norwegen wieder auf der RV-Position ran durfte und gegen die Türkei von anfang an und gegen Montenegro in der Schlussphase sich präsentieren durfte. Vor allem im unglücklichen Spiel gegen die Türkei konnte er sich immer wieder beweisen und war am Ende schuldlos an dem zu hohen Sieg der Türken. Joel Pohjanpalo durfte in der Schlussphase des ersten Spieltags seiner Finnen gegen Bosnien sogar ein fulminantes Tor nach seiner Einwechslung einleiten, in dem der Ex-Schalker Pukki zum zwischenzeitlichen 2:1 (2:2 Endstand) traf. Auch am zweiten Spieltag gegen die Ukraine reichte es zu einem Kurzeinsatz, in dem wieder Pukki zum Unentschieden traf. Heute darf Joel im Spiel gegen die Schweiz vielleicht wieder auf wichtige Minuten hoffen.

Alles in allem durchaus erfreuliche Resultate für unsere sechs Nationalspieler, die ihren nächsten Schritt in ihrer eigenen Entwicklung tätigen konnten. Vor allem für Ryerson und Ingvartsen freut es mich sehr, dass sie nun auch bei ihren starken Nationalmannschaften Berücksichtigung finden und damit auch eine Anerkennung für ihre Leistungen bei Union zeigen.


zum Spiel

Hoffentlich kommen alle sechs Spieler ohne Verletzungen und Isolationen zurück nach Hause. Max Kruse fehlte jüngst noch aufgrund eines Zahnarzttermins, dafür war aber Awoniyi schon wieder individuell auf dem Platz. Christopher Lenz, der beim mageren 1:2 gegen Braunschweig einen Kurzeinsatz feierte, dürfte wohl noch keine Option für die Startelf gegen Hertha sein, sofern Ryerson für den Sonntag fit bleibt. Darüber hinaus kann es wohl eine ähnliche Aufstellung wie gegen Frankfurt geben.

Prognose

Hertha wird topmotiviert sein, auf ihrem Weg nach oben vor allem Union ein Bein zu stellen und damit auch viel Druck aus den eigenen Reihen wegzunehmen. Der Hinspiel-Erfolg, der vor allem durch den frühen Platzverweis gegen Andrich zu Stande kam, wird wohl für sehr viele eingefleischte Fans eines der wenigen highlights der Saison sein - diesen würden sie wohl gern erneut feiern wollen. Bei Union gilt es vor allem Ruhe und Konzentration zu wahren. Das 2:5 zeigte auf, mit welchen Lücken und Fehlern man bestraft wird, wenn nicht jeder Spiel auf der Höhe und in Form ist. Ein Max Kruse allein reicht leider nicht immer, um solche Spiele zu gewinnen - auch wenn er in Frankfurt schon kurz davor war. Gelingt gegen Hertha ein Punktgewinn, ist dies schon fast der sichere Klassenerhalt - gelingt sogar ein Sieg, so hätte man am 27. Spieltag die Punkteausbeute der Vorsaison bestätigt. Das dürfte für viele eine Extra-Motivation sein, um sich den extrem schweren nächsten Wochen zu stellen und Union in der Bundesliga zu halten. Für einige Spieler wird dies wohl das letzte Derby sein, schade, dass dies nicht vor Fans passieren kann, aber daran haben wir uns ja leider schon gewöhnt.

2:1 für Union.

UNVEU
Эта статья в последний раз редактировалась billy_diao 31 марта 2021 г. на 11:54 Часов